Ein durch eine betriebliche Übung geschaffener Weihnachtsgeldanspruch der Arbeitnehmer kann nicht einfach durch den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung ausgesetzt bzw. abgeschafft werden (BAG, Urteil vom 05.08.2009, Az.: 10 AZR 483/08).
Für jährlich an die gesamte Belegschaft gezahlte Gratifikationen besteht die Regel, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erwächst (vgl. BAG 18. März 2009 – 10 AZR 281/08 – NZA 2009, 601; 30. Juli 2008 – 10 AZR 606/07 – NZA 2008, 1173; 28. Juni 2006 – 10 AZR 385/05 – BAGE 118, 360, 368 f.).
Bei dem Anspruch auf Weihnachtsgeld handelt es sich nicht um einen Anspruch auf eine Sozialleistung, sondern um einen Vergütungsanspruch. Gegenüber den Regelungen einer Betriebsvereinbarung haben günstigere einzelvertragliche Vergütungsansprüche Vorrang (vgl. BAG 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05 – AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 24 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 18). Nach der vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Vertragstheorie werden durch eine betriebliche Übung vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordenen Leistungen begründet (vgl. 18. März 2009 – 10 AZR 281/08 – mwN, NZA 2009, 601). Ein im Arbeitsvertrag vereinbarter Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Gratifikation kann nur durch Kündigung oder vertragliche Abrede unter Vorbehalt gestellt, verschlechtert oder beseitigt werden. Da eine dreimalige vorbehaltlose Gratifikationszahlung den Arbeitgeber vertraglich zur Leistung verpflichtet, kann er einen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstandenen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weihnachtsgeld ebenso wie einen im Arbeitsvertrag geregelten Weihnachtsgeldanspruch auch nur durch Kündigung oder eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer beseitigen. Der nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstandene Rechtsanspruch ist kein vertraglicher Anspruch minderer Rechtsbeständigkeit. Der Arbeitgeber kann ihn daher im Vergleich zu einem durch ausdrückliche arbeitsvertragliche Abrede begründeten Anspruch des Arbeitnehmers nicht unter erleichterten Voraussetzungen zu Fall bringen (BAG, 18. März 2009 – 10 AZR 281/08; vgl. Henssler FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht S. 683, 706; ErfK/Preis 9. Aufl. § 611 BGB Rn. 225). Deshalb ist ein durch betriebliche Übung begründeter Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ebenso wie ein im Arbeitsvertrag vereinbarter Entgeltanspruch des Arbeitnehmers ohne entsprechende Abrede der Arbeitsvertragsparteien auch nicht grundsätzlich „betriebsvereinbarungsoffen“. Einer solchen Annahme steht darüber hinaus auch entgegen, dass die Grundsätze der betrieblichen Übung ohne Unterschied gelten, ob in einem Betrieb ein Betriebsrat gebildet oder nicht gebildet ist und ob ein Betrieb hinsichtlich der Zahl der wahlberechtigten und wählbaren Arbeitnehmer die Voraussetzungen des § 1 BetrVG zur Wahl eines Betriebsrats erfüllt oder ob es sich um einen Kleinstbetrieb handelt.
Will ein Arbeitgeber verhindern, dass im Verhältnis zu einer Betriebsvereinbarung das Günstigkeitsprinzip gilt und dem Arbeitnehmer günstigere einzelvertragliche Abreden über eine Sonderzahlung gegenüber den in einer Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen Vorrang haben, darf er die Sonderzahlung nicht jahrelang ohne jeden Vorbehalt leisten.
Auch eine mündliche oder durch betriebliche Übung begründete Vertragsbedingung, die der Arbeitgeber für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen verwendet, ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung(BAG 27. August 2008 – 5 AZR 820/07 – AP BGB § 307 Nr. 36 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 49). Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen müssen in einer Vertragsklausel deshalb so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel hat vielmehr im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so eindeutig und so verständlich wie möglich darzustellen (BAG 27. August 2008 – 5 AZR 820/07 – aaO).
In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, dass ein Widerrufsvorbehalt, der das Recht des Arbeitgebers begründen soll, versprochene Leistungen einseitig zu ändern, dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen und hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs der vorbehaltenen Änderungen so konkret formuliert sein muss, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“ (vgl. 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 – BAGE 113, 140, 146). Ebenso muss der Arbeitgeber einen Freiwilligkeitsvorbehalt bei Sonderzahlungen, der einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf künftige Leistungen ausschließen soll, so klar und verständlich abfassen, dass der Arbeitnehmer gemäß dem Sinn und Zweck des Transparenzgebots den Vertragsinhalt sachgerecht beurteilen und erkennen kann, dass er keinen Rechtsanspruch auf künftige Leistungen hat (vgl. BAG 18. März 2009 – 10 AZR 289/08 – NZA 2009, 535; 21. Januar 2009 – 10 AZR 219/08 – EzA BGB 2002 § 307 Nr. 41; 10. Dezember 2008 – 10 AZR 1/08 – AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40; 30. Juli 2008 – 10 AZR 606/07 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 274 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 38; 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – AP BGB § 307 Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 26).
Will ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine Sonderzahlung unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung leisten, muss dieser Vorbehalt ebenso wie ein Widerrufs- oder Freiwilligkeitsvorbehalt dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen. Bringt der Arbeitgeber nicht hinreichend klar und verständlich zum Ausdruck, dass er die Sonderzahlung „betriebsvereinbarungsoffen“ leisten will, kann ein „durchschnittlicher“, verständiger Arbeitnehmer dies nicht erkennen. Der Auffassung der Beklagten, ein verständiger Arbeitnehmer müsse auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Vorbehalt des Arbeitgebers annehmen, dass ein durch betriebliche Übung begründeter Anspruch auf eine Sonderzahlung durch eine Betriebsvereinbarung geändert oder aufgehoben werden könne, trägt nicht. Die Arbeitsvertragsparteien sind rechtlich nicht befugt, das Verhältnis der Betriebspartner untereinander zu regeln, unabhängig davon, ob die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beschränkt oder erweitert werden sollen. Eine derartige Befugnis widerspräche dem System der Betriebsverfassung (BAG 23. April 2009 – 6 AZR 263/08 – ZIP 2009, 1294). Gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Aufgrund dieser Regelungssperre sind die Betriebsparteien regelmäßig gehindert, Betriebsvereinbarungen über Weihnachtsgeld und andere Sonderzahlungen abzuschließen. Die Regelung von Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld durch Tarifvertrag ist üblich. Selbst wenn der in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verankerte Tarifvorrang nicht sperrt oder ein Tarifvertrag gemäß § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen über Sonderzahlungen ausdrücklich zulässt, muss ein verständiger Arbeitnehmer daraus noch nicht schließen, eine ihm ohne einen Vorbehalt des Arbeitgebers geleistete Sonderzahlung stehe unter dem „stillschweigenden“ Vorbehalt einer ablösenden freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG.
Vorbehalte eines Arbeitgebers bei der Leistung von Sonderzahlungen an seine Arbeitnehmer unterliegen erst ab dem 01.02.2002 den Bindungen des AGB-Rechts und müssen hier einer Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB standhalten.